Sie sind beruflich und privat überrascht worden von der Pandemie. Aber sie sind auch kreativ in der Krise, stellen Alternativprogramme auf die Beine und machen sich technisch fit. Eine Diakonin, eine Pastorin und ein Pastor sowie eine Oberstudienrätin im Ruhestand und ein junger Filmproduzent erzählen von ihren Ideen und Erlebnissen in besonderen Zeiten.
JANNA ECKERT, DIAKONIN
Ihren Start in Osterholz-Scharmbeck hatte sich Janna Eckert im Mai vergangenen Jahres etwas anders vorgestellt. „Zentraler Punkt meiner Arbeit sind die Begegnungen mit anderen Menschen. Und genau die mussten ja stark reduziert werden“, sagt die 30-Jährige heute im Rückblick, die ihren Dienst als Diakonin und Kirchenkreisjungendwartin mitten in der ersten Pandemiewelle angetreten hat.
Foto: Janna Eckert (4) // Fotohinweis: privat
Janna Eckert musste bei ihrem Start als Diakonin und Kirchenkreisjungendwartin in Osterholz-Scharmbeck improvisieren und organisierte Veranstaltungen als Videokonferenz oder Livestream.
Verzicht als Herausforderung
„Ankommen, einarbeiten, Menschen kennenlernen?– auf all das zunächst verzichten zu müssen war schon eine große Herausforderung“, berichtet Eckert. Sie liebt es, Netzwerke zu knüpfen?– und sie hat improvisiert. „Wir haben versucht, möglichst viele Veranstaltungen als Videokonferenz oder Livestream anzubieten“, erzählt sie. Die junge Diakonin hat sich mit Unterstützung versierter Jugendlicher das dafür notwendige technische Know-how angeeignet. „Kameraführung, Verkabelung, Internetverbindung?– in all das musste ich mich auch erst mal einarbeiten.“
Gemeinschaft spüren
Die Lockerungen im Sommer 2020 haben dann zumindest dazu geführt, dass Eckert viele junge Leute auch persönlich treffen konnte. „Ein wenig Gemeinschaft zu spüren hat schon sehr gutgetan“, sagt die studierte Religionspädagogin. Das Jahresevent, die sogenannte Church Night am 30.?Oktober, musste dann jedoch wieder digital laufen. „Aber es war toll, gemeinsam zu spielen, zu quizzen und sich auszutauschen.“
Ein Fest für alle
Für die Zeit nach Corona wünscht sich Janna Eckert vor allem eines: Begegnungen. „Ich träume von einer großen Veranstaltung, bei der sich die Menschen treffen und kennenlernen können“, erzählt sie. Und sie würde gern eine Freizeit mit Kindern und Jugendlichen organisieren, die nicht wie im vergangenen Jahr räumlich auf ein Gemeindehaus beschränkt ist. „Die Jugendlichen haben das Bedürfnis, sich wieder als Teil einer Gruppe zu erleben, ich finde das wichtig.“
Janna Eckert selbst ist in ihrem Kollegenkreis unter den schwierigen Umständen schon gut angekommen, „beruflich allerdings viel besser als privat“. Denn das Miteinander, Sport oder das Singen im Chor sind derzeit gestrichen?– und damit auch die Möglichkeit zu neuen, frischen Kontakten.
TIMO KLINGEBIEL, FILMPRODUZENT
In der Pandemie hat Timo Klingebiel ein ganz neues Arbeitsfeld für sich entdeckt. War der 40-Jährige bislang für Imagefilme von Unternehmen unterwegs, ist er im Dezember eher zufällig auf die Kirche gekommen. „Ein Bekannter aus der Branche hat mir den Kontakt zu Pastorin Hanna Dallmeier aus Sievershausen vermittelt“, erzählt der Produzent. Dort sollte das Krippenspiel als Videofilm produziert und online gestellt werden?– für alle, die an Heiligabend nicht in die Kirchen gehen konnten. „Das war eine ganz tolle Aktion“, schwärmt Klingebiel, der auch Komponist ist und sechs Instrumente spielt. Sie hätten sich ein paar Krippenspiele angeschaut und dann das Drehbuch für das eigene geschrieben. „Die Kinder sollten nichts statisch einstudieren, wir wollten sie auch als Akteure vor allem Kinder sein lassen“, betont Klingebiel.
Schafe auf Rollen
Die Produktion coronakonform hinzubekommen sei eine große Herausforderung gewesen. „Bei der Krippenspielbesetzung wurde darauf geachtet, dass etwa Geschwister zusammen auftreten oder dass die Hirten auch sonst ihre Freizeit miteinander verbringen“, erzählt der 40-Jährige. Sogar die Schafe haben in diesem Krippenspiel Rollen gehabt. Die Inszenierung ist offenbar gut angekommen bei den Bürgern, „wir hatten mehr als 3000 Klicks.“
Neue Wege beim Gottesdienst
Auch für die Ostergottesdienste kann sich Timo Klingebiel eine Aufzeichnung vorstellen. „Man muss natürlich vorher schauen, wie die Gegebenheiten vor Ort sind, vor allem eine stabile Internetverbindung ist Voraussetzung“, betont Klingebiel. Auch müssten zwei Kameras eingesetzt werden, „damit man sowohl den Pastor oder die Pastorin als auch Teile der Gemeinde abbilden kann.“
Klingebiel würde das gern jederzeit anbieten, er ist Kirchenmitglied, beschränkt sich aktiv allerdings eher auf die großen Feste. Das Krippenspiel in Sievershausen war eine Premiere in Sachen Kirchenarbeit. „Jedes Projekt ist anders, dies war aber besonders spannend. Und das Geheimnis des Erfolges ist vor allem die tolle Vorbereitung.“ Der neunjährige Josef sei einfach wunderbar gewesen?– genauso wie die Resonanz der Zuschauer. „Wir habe viele Komplimente erhalten, etliche waren emotional richtig ergriffen.“
Livestreams sind gefragt
Das Pandemiejahr 2020 war für Klingebiel als Produzent nicht das schlechteste. „Wir haben viele Livestreams für Künstlerinnen und Künstler gemacht, ich bin also im Training.“ Kreative Lösungen seien stark nachgefragt gewesen, das Livestream-Thema sei geradezu explodiert. „Wir sind gut an unsere Kundinnen und Kunden gekommen?– auch in der Kirche“, berichtet er.
WIELAND KASTNING, PASTOR i.?R.
Zum vergangenen Osterfest hat Pastor Wieland Kastning improvisiert. „Ich habe mich in die Kirche gesetzt, die Tür stand offen und jeder durfte –?einzeln?– hineinkommen. Zum Anzünden einer Kerze oder zum Gebet.“ Am Eingang gab es eine „Gute-Worte-Tauschbörse“, jeder durfte dort Zettel befestigen. „Diese Wünsche oder auch Samen hingen dort bis zum Sommer“, sagt Kastning.
Foto: Kastning_drei // Fotohinweis: Heuer-Strathmann
Pastor Wieland Kastning der Stadtkirche in Bückeburg hat im seinem letzten Jahr vor dem Ruhestand aufgrund der Krise neue Wege beschritten. So ist er mit einer Bläsertruppe durch die Straßen gezogen und hat ein Essay per Post und E-Mail an Gemeindemitglieder verschickt.
Guter Anlass für Alternativen
Für den Pastor der Stadtkirche in Bückeburg war das Osterfest 2020 das letzte, für das er amtlich zuständig gewesen ist. Seit Ende des Jahres ist der 66-Jährige im Ruhestand. „Eigentlich war die verordnete Auszeit auch ein guter Anlass für Alternativen, um Kirche und Menschen zusammenzubringen“, berichtet Kastning. Die Gemeinde habe sich digital besser aufgestellt und etwa Ansprachen, Musik oder auch Spielszenen für das Internet aufbereitet. „Allerdings lag ein wichtiger Schwerpunkt im vergangenen Jahr auch auf analogen Kontakten“, sagt Kastning.
„Mein Vortrag mit Symbolik und kognitivem Gewicht zu Ostern musste ja ausfallen.“ Und so habe er per Mail und persönlicher Briefwurfsendung ein Essay zum Thema Loslassen, neues Leben und Chancen in der Krise verteilt. „Man kann auch berühren, wenn man sich nicht berühren kann.“ Die Tage kreativ zu gestalten sei auch eine gute Vorbereitung auf den Ruhestand gewesen. „Ich bin häufiger einfach auf die Straße gegangen und habe mit Menschen geredet“, berichtet er. So fand auch Seelsorge ihren Raum.
Neue analoge Wege
Wichtig war für Kastning und die Gemeinde ist die Musik als Zeichen der kirchlichen Präsenz, auch wenn diese aus Gründen des Infektionsschutzes in den Kirchen nur noch unter besonderen Auflagen möglich ist. Deshalb gab es bereits vor einem Jahr Choräle vom Kirchenbalkon, „eine Bläsergruppe ist mit uns Pastoren zudem durch die Straßen gezogen“. Dabei habe es auch Gebete und Aussprachen gegeben, „für mich eine wichtige Form von Teilhabe und Präsenz“, betont Kastning.
Unwohl haben er und seine Kolleginnen und Kollegen der Stadtkirche sich nicht gefühlt in der Krise, sagt der Pastor. „Es war herausfordernd, aber wir haben neue Wege beschritten.“ In seiner Kirche dürfen unter Hygieneschutzmaßnahmen rund 140?Menschen Platz nehmen, „wir haben aber auch viele neue Orte und Plätze entdeckt, an denen wir coronakonform zusammenkommen konnten“. Herauszugehen aus der Kirche sei eine gute Lektion gewesen. Sein Abschiedsgottesdienst indes hat Wieland Kastning zwar noch in seiner Kirche feiern dürfen. Für die Erinnerung allerdings hat er die Zeremonie jetzt auf Video.
DOROTHEA WÖLLER, PASTORIN
Dorothea Wöller geht spazieren. Das machen ziemlich viele Menschen im Moment, aber für die Pastorin der Martin-Luther-Kirche in Ehlershausen-Ramlingen-Otze gehört das jetzt zum Berufsalltag. Erst am 1.?Dezember und damit mitten in der zweiten Welle der Pandemie hat sie ihre Stelle angetreten, „normalerweise hätte ich jetzt schon sehr viele Hände geschüttelt, Namen gelernt, Gesichter gesehen, Menschen getroffen“, erklärt sie.
Doch in Pandemiezeiten ist ein Einstieg ins volle Gemeindeleben ziemlich schwer. Also geht sie spazieren. Mit Gemeindemitgliedern. „Ich habe mir das Angebot überlegt und schon reichlich Resonanz bekommen. Die Gesprächsnot ist sehr groß“, sagt die 41-Jährige. Und keinesfalls sind es nur Senioren, die mit der neuen Pastorin unterwegs sein wollen?– zum Austausch und zur Abwechslung. „Es melden sich Jugendliche, aber auch junge Eltern, die mit Familie, Homeoffice und Homeschooling sehr beansprucht sind.“
Foto: Woeller_1_Foto-Patricia Johnson // Fotohinweis: privat
Bildunterschrift: Pastorin Dorothea Wöller der Martin-Luther-Kirche in Ehlershausen-Ramlingen-Otze geht regelmäßig mit Gemeindemitgliedern jeden Alters spazieren, um sich auszutauschen und sich deren Sorgen anzunehmen.
Gottesdienst im Garten
Dorothea Wöllers Einführungsgottesdienst musste situationsgerecht in kleinem Rahmen abgehalten werden. Und für den Heiligabendgottesdienst waren Anmeldung und Tickets notwendig. Ihre wöchentlichen Andachten mit „Predigtgespräch“ stehen auf der Homepage und werden als Din-A4-Sendung verteilt. Und Gottesdienste in Präsenz finden draußen statt. „Wir haben in Ehlershausen Luthers Garten –?mit Bühne, Podest und viel Platz für Bestuhlung mit Abstand?–, da können wir zusammenkommen.“ Ostern zum Beispiel. „Bislang ist der Plan, an Palmsonntag mit den Präsenzgottesdiensten unter freiem Himmel zu starten“, so Wöllers größter Wunsch Mitte März, als die Vorbereitungen in vollem Gange waren.
Predigten hat sie auch auf der Website eingesprochen, „wenn mich die Menschen schon nicht kennenlernen können, sollen sie wenigstens mal meine Stimme hören“, sagt sie. Sie selbst würde mit den Gemeindemitgliedern aber auch gern in persönlichen Kontakt treten. „Ich habe mich hier schon ziemlich einsam gefühlt so allein im Büro.“ Langsam komme sie an, sagt Wöller, in ihrem neuen Leben?– auch in schwierigen Zeiten.
Befremdliche Beerdigungsgespräche
Beerdigungsgespräche waren in den letzten Wochen der größtmögliche Kontakt. „Die Gespräche haben sich verändert. Man fragt jetzt, wie groß die Wohnungen sind, wegen der Abstandsregeln. Und woran der Angehörige verstorben ist.“ Und Beerdigungsgespräche per Zoom findet Dorothea Wöller auch eher befremdlich. Zumal die Technik in ihrem neuen Wirkungskreis auch nicht immer optimal ist. „Hier gibt es noch Kupferkabel für die Internetverbindung. Das ruckelt schon mal.“
Mittlerweile hat die Pastorin mit vielen Menschen zumindest am Telefon gesprochen, und sie machen sich miteinander auf den Weg. „Ich habe auf den Spaziergängen schon viele schöne und persönliche Orte kennengelernt“, erzählt die 41-Jährige. Langsam werde es heller, in jeder Beziehung. „Wir machen wieder Gottesdienste. Und wir haben ein gutes Konzept?– und bleiben vorerst draußen.“
SIGRID VON BERGEN, OBERSTUDIENRÄTIN i.?R.
Verzicht ist für Sigrid von Bergen nichts Neues und trotzdem lange her. Die 92-Jährige kennt die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, sie kennt die Zeit danach?– und jetzt kennt sie die Lage in der Corona-Pandemie. Damals gab es keine Zeit für Zukunftspläne.
Foto: Sigrid_von_Bergen-0614 // Fotohinweis: Philipp Reiss
BU: Die Hamburgerin Sigrid von Bergen stand im Mai 1945 ein Jahr vor dem Abitur.
Keine Normalität nach Kriegsende
„Und plötzlich war es ganz still“, erinnert sich Sigrid von Bergen an das Ende des Zweiten Weltkriegs. „Vorher hatten ständig die Kanonen geknattert. Und dann war das alles auf einmal vorbei.“ Im Mai 1945 stand die junge Hamburgerin ein Jahr vor dem Abitur. Doch Normalität bedeutete das Kriegsende zunächst keineswegs. „Ich erinnere mich nicht, dass ich Pläne für die Nachkriegszeit geschmiedet hätte“, sagt sie im Rückblick. „Das tägliche Leben verlangte uns so viel ab, dass wir gar nicht weiterdenken konnten als bis zum nächsten Tag.“
Aber?– endlich Frieden. Und endlich wieder ohne Angst offen die Meinung sagen können. „Doch die Freude währte nicht lange, denn was dann folgte, war eine mühsame und karge Zeit.“ Mit dem Kriegsende wurde sie auch zum ersten Mal mit der entsetzlichen Wahrheit über die Gräueltaten der Nazis konfrontiert. „Mein Vater hat vieles gewusst, aber er hat uns nicht damit belasten wollen“, erzählt sie.
Lehrerin mit Leib und Seele
Trotz der Wirren nach dem Krieg stand für sie bald fest, dass sie nach dem Abitur Biologie und Chemie studieren wollte. Doch die Studienplätze waren zunächst den Kriegsheimkehrern vorbehalten. „Das habe ich natürlich eingesehen“, sagt die heutige Oberstudienrätin im Ruhestand. Schließlich aber klappte es doch noch. Sigrid von Bergen wurde Lehrerin?– mit Leib und Seele.
Doch zunächst blieben die Zeiten hart. Der eisige Winter 1946, der als „Hungerwinter“ in die Geschichte eingegangen ist, der langsame Wiederaufbau der Städte, der Kampf um Lebensmittel, Schwarzmarkthandel?– all das ließ einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft nicht zu. Der Begriff „auf Sicht fahren“, in der Corona-Krise häufig verwendet, war in jenen Tagen eine Selbstverständlichkeit, alternativlos gewissermaßen. Sich jeden Tag an die Gegebenheiten anpassen, improvisieren, flexibel sein?– für hochfliegende Zukunftspläne blieb da kein Platz. Und auch nicht für Visionen.
Es sei eine Zeit gewesen, die sie für ihr Leben geprägt habe, zieht von Bergen Bilanz. „Ich habe in meinem Leben oft eine große Dankbarkeit empfunden?– auch dafür, nie wieder einen Krieg erleben zu müssen“, sagt sie. „Und ich habe wirklich Glück gehabt.“
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