Ein alternatives Andachtsformat in Zeiten der Pandemie
Wie können Menschen trotz Corona zusammenfinden und den Gottesdienst feiern? Die Kirche geht in diesen Zeiten neue Wege: In der Gemeinde St. Martini in Brelingen hat Pastorin Debora Becker einen „Gottesdienst to go“ ins Leben gerufen, eine Andacht zum Mitnehmen, die zu Hause und unter freiem Himmel gefeiert werden kann. Das Format ist auch für die Konfirmandinnen und Konfirmanden der St.-Martini-Kirche gedacht.
Die Idee ist einfach und extra niedrigschwellig konzipiert: Seit Beginn der Pandemie haben Gemeindemitglieder die Gelegenheit, sich den „Gottesdienst to go“ in ausgedruckter Form abzuholen. Becker bereitet ihre Andachten so vor, dass diese im kleinen Kreis gefeiert werden können. Der Text ihrer jeweiligen Predigt und die Zeilen eines ausgewählten Liedes sind auf Flugblättern zum Mitnehmen zu finden. Diese hängen an einer Wäscheleine vor der Kirche sowie am Alten und Neuen Friedhof.
Becker wirbt aber auch in den sozialen Medien für das neue Format. „Im ersten Lockdown fühlte sich das Ganze noch aufregend und nach Urchristentum an“, sagt die Seelsorgerin, die seinerzeit auch erstmals zu Gottesdiensten per Internetchat einlud. Einen typischen „Gottesdienst to go“ können Familien ganz leger am Frühstückstisch feiern und sogar bei einem Spaziergang.
Die 40-jährige Theologin hatte den Einfall kurz nach dem ersten Lockdown. Präsenzgottesdienste waren im März 2020 nicht mehr möglich. Um publik zu machen, dass die Kirchentüren geschlossen sind, verfasste sie kurzerhand den ersten „Gottesdienst to go“. Dieser umfasst bis heute wesentliche Elemente einer Andacht von der Begrüßung bis zum Segen. Das Format habe sich gut etabliert, sagt Becker. So hatte der Kirchenvorstand zu Ostern zwar beschlossen, wegen steigender Inzidenzwerte auf Präsenzgottesdienste zu verzichten. Doch in Brelingen, Negenborn und Oegenbostel bot er „Ostergottesdienste to go“ an.
Die Erfahrung dezentraler Andachten machen die Brelinger Konfirmandengruppen bereits im zweiten Corona-Jahr. Da Treffen in den Gemeinderäumen im Frühjahr 2020 nicht erlaubt waren, fand die Konfirmandenarbeit digital per Videokonferenz statt. „Damals war das für die Konfis noch etwas Besonderes. Da gab es noch kein Homeschooling“, sagt Becker. Die Jugendlichen können seither den „Gottesdienst to go“ zu Hause individuell gestalten, viele Vorgaben gibt es nicht. Die Jungen und Mädchen lesen ihren Angehörigen die Predigt vor, und die Familie singt und betet gemeinsam. „Eine Kerze muss nicht an sein“, sagt Becker. „Die Musik wähle ich aus, zum Beispiel kirchliche Gassenhauer oder meine Lieblingslieder wie ‚Und ein neuer Morgen‘.“
Laut Landeskirche sollen die Konfirmanden mindestens 25 Gottesdienste bis zur Konfirmation besuchen. Weil Präsenzandachten wegen Corona nicht in großer Runde möglich sind, erkennt die Gemeinde auch praktizierte „Gottesdienste to go“ an. „Die Konfis können sich dafür Unterschriften von ihren Eltern geben lassen“, so Becker. Die Pastorin hat die Jugendlichen außerdem dazu aufgefordert, zu fotografieren, wie sie die mobilen Andachten zu Hause gestalten. In den ersten Monaten nach dem Corona-Ausbruch sei die Resonanz besonders groß gewesen. Heute erhält Becker seltener E-Mails von ihren Schützlingen. Ein Hauptkonfirmand schicke ihr aber bis heute jeden Sonntag digitale Impressionen – seine jüngere Schwester wolle bei der familiären Zusammenkunft immer den Segen sprechen.
Einer der aktuellen Vorkonfirmanden ist Jonas Stiller aus Brelingen. „Ich nehme den Zettel für den ‚Gottesdienst to go‘ immer mit, wenn ich sonntags Brötchen hole“, sagt der 13-Jährige. Mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder liest er Beckers Predigt am Frühstückstisch. „Das Lied dazu hören wir auf Youtube. Manchmal singen wir mit.“ Besonders gut gefallen habe ihm der „Ostergottesdienst to go“. „Da hing ein Beutel an der Wäscheleine vor der Kirche – mit Traubensaft und Oblaten“, sagt Jonas Stiller. Sein 15-jähriger Bruder Lukas konnte den Präsenzgottesdienst als Konfirmand 2020 Jahr noch live miterleben. Jonas hingegen hat die anderen aus seiner Konfirmandengruppe in einer Videokonferenz kennengelernt. „Wir hatten erst einmal einen Liveunterricht. Das war alles ein bisschen komisch. Jeder musste sich vorher auf Corona testen lassen.“ Nun sammelt er fleißig Unterschriften für sein Konfi-Heft. Diese lässt er sich nach jedem „Gottesdienste to go“ von seiner Mutter geben – und nicht wie vor Corona üblich von der Pastorin im Anschluss an den Kirchenbesuch.
Marion Bernstorf, die Vorsitzende des Brelinger Kirchenvorstands, freut sich über das Format: „Wir erreichen damit Menschen, die sonst nicht am Sonntag um 10 Uhr in die Kirche gehen.“ Während der Pandemie habe sich gezeigt, dass neben dem klassischen Gottesdienst auch andere Formen kirchlicher Aktivität die Gemeinschaft stärken könnten. Da die Gemeinde ab einem Inzidenzwert von 100 keine physischen Gottesdienste mehr ausrichtet, sei sie froh, dass auch Videoandachten möglich sind.
Zu Weihnachten wurde der Gottesdienst per Zoom als interaktives Video übertragen. Für Gründonnerstag hatte Becker ebenfalls über diese Onlineplattform zum „Gottesdienst zum Abendbrot“ eingeladen. Die Andacht wurde live aus dem Gemeindesaal übertragen, zu Gast waren ein Organist und eine Chorsängerin. Ostermontag gab es wiederum unter dem Titel „Ostern für Kinder“ eine Bastelrunde via Zoom für den Nachwuchs.
Auch Aktionen wie die der Posaunenbläser, die zu Ostern unangekündigt auf dem Friedhof Lieder spielten, regten das wegen der Pandemie ausgebremste Gemeindeleben an. „Wir als Kirchenvorstand gehen sehr sorgsam mit Corona um und entscheiden jede Woche neu, was möglich ist“, so Bernstorf. Bis auf Weiteres halte die Gemeinde an den etablierten „Gottesdiensten to go“ fest, gebe aber auch immer wieder Impulse für neue Ideen und Initiativen. Zu Weihnachten formierten sich zum Beispiel kleine Gruppen mit Chorsängern im Dorf und luden an Straßenkreuzungen zu Andachten ein. „Diese Aktion ist total gut angekommen“, sagt Bernstorf, die dafür zuletzt in einer Sitzung der Dorfgemeinschaft via Zoom sehr viel positives Feedback erhalten hat. Diese Zustimmung motiviere und zeige, dass dies der richtige Weg in Corona-Zeiten ist.
von Simone Niemann
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